„Lieber Stürmer“ – Das Einüben des antisemitischen Blicks
![„Fips“ [d. i. Philipp Rupprecht]: Anschauungs Unterricht, in: Der Stürmer 17 (1937), Nr. 4, Januar 1937<span class=prov></span>](/site/assets/files/1066/xyz_1937_-_n_0_04_zusatzkarikatur_1_rotated_cropped.0x500.jpg)
Das NS-Hetzblatt „Der Stürmer“ setzte auf regen Austausch mit seinem Publikum. In der Ausgabe vom 4. Januar 1937 forderte die Redaktion z. B. Leserinnen und Leser zum Mitmachen auf: Jeder – egal welchen Geschlechts oder welchen Alters – war aufgefordert, antisemitische Karikaturen zu kreieren und einzusenden. Orientierung sollten Vorlagen des Zeichners „Fips“ geben. Einsenderinnen und Einsender konnten sogar hoffen, dass ihre Werke in zukünftigen Ausgaben veröffentlicht würden.

Tatsächlich erhielt die „Stürmer“-Redaktion täglich hunderte von Zuschriften. Darunter waren klassische Zeitungszuschriften wie Leserbriefe, Presseanfragen o. Ä. Zu den Einsendungen gehörten auch Karikaturen und Zeichnungen wie diese Collage eines Lehrlings aus Dortmund.
Erläuterungen zu Funktionsweisen und Darstellungsstrategien antisemitischer Karikaturen finden Sie im Bereich „Karikatur und Aneignung des öffentlichen Raums“.

Die dem „Stürmer“ zugesandten Zeichnungen kamen aus einem breiten Spektrum der Leserschaft der Zeitschrift. Auch Kinder und Jugendliche waren unter den Autorinnen und Autoren. Dementsprechend war die künstlerische Qualität oft nicht besonders hoch. Die Karikatur aus der Feder des Dortmunder Hitlerjungen Hans Weber soll den Dortmunder Juden Max Schönfeld und seinen Sohn Erwin zeigen. Die Zeichnung war wahrscheinlich Teil einer lokalen Hetz-Kampagne gegen die Familie Schönfeld. „Der Stürmer“ pflegte solche Kampagnen medienwirksam zu unterstützen. Am 11. August 1935 zogen Erwin Schönfeld und seine Tante nach Nürnberg, um sich vor der damit einhergehenden Gewalt zu schützen. 1942 wurden alle Familienmitglieder nach Riga deportiert und dort ermordet.

Diese Zeichnung schickte der damals 13-jährige Ludwig Gelder aus Berlin der „Stürmer“-Redaktion zu. Die Zeichnung folgt in ihrem Stil zwar den Vorlagen von „Fips“. Als alleinstehendes Motiv ist sie aufgrund ihrer künstlerischen Einfachheit allerdings nicht sofort als antisemitisch erkennbar. Erst der Begleittext „Bin ich nicht ein schönner Jüdd?“ stellt den antisemitischen Kontext vollends her. Der Text karikiert darüber hinaus einen vermeintlichen jiddischen Dialekt, ein wichtiges Stilmittel antisemitischer Propaganda, das auch in anderen Karikaturen vorkommt.

Im März 1943 sandte der Viertklässler Ulf Schmidt aus dem schlesischen Kalisch (Kalisz) diese Karikatur beim „Stürmer“ ein. Sie kopiert den Stil von „Fips“ bis in kleine Details. In der Zeichnung kommen alle wichtigen Elemente der antisemitischen Bildsprache von „Fips“ vor. Die Bildunterschrift bezieht sich auf antisemitische Stereotype über jüdische Dialekte. Zudem kolportiert sie, dass Jüdinnen und Juden beim Sprechen übermäßig gestikulieren würden.

Diese Karikatur des Stabsfeldwebels Willy Miech ist künstlerisch deutlich anspruchsvoller als andere Einsendungen ans „Stürmer“-Archiv. Nicht nur zeigt sie eine eigens ausgedachte Szene, sie zeichnet sich auch durch einen eigenen künstlerischen Stil aus. Inhaltlich setzt sie auf das Stereotyp des geldgierigen Juden, der sich zudem auf Kosten der Armee bereichert. Die Stereotype des jüdischen Dialekts und der gestenreichen Kommunikation sind auch hier zu finden.