NS-Propaganda und Gegenöffentlichkeiten

Gegenwehr gegen nationalsozialistische gesundheitspolitische Konzepte vor 1933
Die Gegenwehr gegen die nationalsozialistischen Vorschläge und Initiativen auf gesundheitspolitischem Gebiet und den Antisemitismus begann bereits vor der NS-Machtübernahme. Entsprechende Warnungen und Kritik äußerten vor allem jüdische, sozialdemokratische und kommunistische Ärzte und Sozialreformer, wie etwa der jüdisch-deutsche Arzt und sozialdemokratische Politiker Dr. Julius Moses. Seine fortschrittlichen Vorstellungen einer Politik, deren Ziel die Sicherung der „Volksgesundheit“ zu sein habe, wichen von den „Volksgesundheits“-Konzepten der Nationalsozialisten erheblich ab.
„Mit einem geradezu bewundernswerten Dilettantismus haben sie [die Nationalsozialisten] sich auch auf das volksgesundheitliche Gebiet […] gestürzt und hier ‚Reformen‘ angekündigt, die – tatsächlich durchgeführt – in kurzer Zeit nicht nur das deutsche Gesundheitswesen zu vernichten drohen, sondern auch die Aerzteschaft ethisch auf das schwerste kompromittieren müssen.“
Dr. Julius Moses, 27. Februar 1932 [Hervorhebungen im Original]

Vereinzelte Solidarität mit jüdischen Ärzten nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten
Auch direkt nach der Machtübernahme gab es zeitweise noch vereinzelte kritische Äußerungen in der deutschen Presse gegen die judenfeindliche NS-Politik – so z. B. im Februar/März 1933 in der Elberfelder Zeitung bzw. in der Zeitschrift „Der Kassenarzt“.

Anti-Antisemitismus: Gegenwehr gegen NS-Propaganda in der Auslandspresse
Eine der ersten systematischen Dokumentationen der Judenverfolgung in Deutschland, die im Ausland erschien, war das 1936 veröffentlichte Buch „The Yellow Spot“. Der britisch-jüdische Verleger Victor Gollancz war schon während des Ersten Weltkriegs als humanistischer Aktivist in Erscheinung getreten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 begann er Beweismaterial über die einsetzende Judenverfolgung zu sammeln. 1936 veröffentlichte er dieses Material in seinem eigenen Verlag in Großbritannien. Das Vorwort schrieb der damalige Bischof von Durham, Hensley Henson. Henson war einer der wenigen englischen Kirchenfunktionäre, die sich schon vor dem Zweiten Weltkrieg öffentlich gegen den Nationalsozialismus positionierten.
![Foto-Abbildungen aus: The Yellow Spot, London 1936, unpag. Bildteil [links: zwischen S. 64 und S. 65, rechts: zwischen S. 48 und S. 49], Fotograf: unbekannt<span class=prov></span>](/site/assets/files/1064/final_the_yellow_spot_collage.400x0.png)
„Stürmer“-Berichterstattung entlarvt: Die Macht der kontextualisierenden Dokumentation
In „The Yellow Spot“ waren neben Dokumenten und judenfeindlichen Verordnungen des NS-Staats auch viele Fotos abgedruckt, die dem antisemitischen Hetzblatt „Der Stürmer“ entnommen waren. Andere Fotos zeigten die zunehmende Ausgrenzung von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern im „Dritten Reich“ – hier von Ärzten und Rechtsanwälten. Alle diese Fotos machten das Buch „The Yellow Spot“ sowie die ebenfalls 1936 (im Pariser Verlag Editions du Carrefour) erschienene, mit einem Vorwort von Lion Feuchtwanger versehene Dokumentation „Der gelbe Fleck – Die Ausrottung von 500 000 deutschen Juden“ einer breiteren internationalen Öffentlichkeit zugänglich.
Die Bildunterschriften lauten:
„Propagandaumzug des ‚Stürmer‘, heutzutage sogar in [deutschen] Städten ein charakteristischer Anblick.“
„‚Meidet jüdische Ärzte und Rechtsanwälte‘, ein Boykottplakat in den Straßen von Berlin.“

Antisemitische Propaganda gegen Ärztinnen und Ärzte
Neben dem Hetzblatt „Der Stürmer“ war ein Flaggschiff der auf die Ärzteschaft bezogenen antisemitischen Propaganda des NS-Regimes die Zeitschrift „Deutsche Volksgesundheit aus Blut und Boden!“. Als „Eyecatcher“ nutzte die Zeitschrift fast immer eine Karikatur des wichtigsten NS-Karikaturisten Philipp Rupprecht alias „Fips“. Inhaltlich bereitete sie gesundheitspolitische Maßnahmen der Nationalsozialisten entweder propagandistisch vor oder begleitete sie. Häufig richteten sich Artikel gegen jüdische Ärzte, Impfungen und die pharmazeutische Industrie. Stattdessen wurde eine „deutsche“ Naturheilkunde befürwortet.