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Reichsärzteordnung und Reichsärztekammer

Der Anwalt der deutschen Ärzteschaft: Clemens Bewer


Foto von Clemens Bewer, vermutlich mit seiner Ehefrau Maria Bewer. Undatierter, zerschnittener Schwarzweißabzug, überliefert in einer KBV-Akte zu Bewers Ruhegehalt | <span class=prov>Alt-Archiv der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Berlin, 00001</span>
Foto von Clemens Bewer, vermutlich mit seiner Ehefrau Maria Bewer. Undatierter, zerschnittener Schwarzweißabzug, überliefert in einer KBV-Akte zu Bewers Ruhegehalt | Alt-Archiv der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Berlin, 00001

Clemens Bewer (1894–1972), geboren in Greifswald, war seit 1927 als Justiziar des Hartmannbunds tätig. Ab 1933 war er maßgeblich an der Ausarbeitung der neuen Reichsärzteordnung beteiligt, die am 1. April 1936 in Kraft trat. 1960 versuchte er, eine Pension für seine Tätigkeit in der NS-Zeit zu erstreiten. In einem Schreiben an den KBV-Vorsitzenden Dr. Friedrich Voges brüstete Bewer sich damit, dass er der Haupt­verfasser der Reichsärzteordnung gewesen sei. Nur die „ausgesprochen nazistischen, insbesondere gegen Juden“ gerichteten Teile stammten angeblich nicht von ihm. 1934 hatte Bewer die Funktion des Justiziars auch bei der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands übernommen, die zwei Jahre darauf, als eigene Körperschaft öffentlichen Rechts, der Reichsärztekammer angegliedert wurde.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war Bewer als Rechtsberater des Vermögenstreuhänders der aufgelösten KVD tätig. In dieser Funktion bemühte er sich, Vermögenswerte, die unrecht­mäßig von jüdischen Vorbesitzerinnen und Vorbesitzern erworben worden waren, für die Nach­folgeorganisationen der KVD zu erhalten. Ab 1949 setzte er seine Tätigkeit als Justiziar fort, diesmal für die Ärztevereine und die Berliner Kassenärztliche Vereinigung.

Rundschreiben 10/37 der Reichsärzte­kammer, 14. Mai 1937, betr.: Herausgabe von Krankengeschichten – § 13 Absatz 3 der Reichs­ärzteordnung | <span class=prov>Alt-Archiv der Kassen­ärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Berlin, 00106</span>
Rundschreiben 10/37 der Reichsärzte­kammer, 14. Mai 1937, betr.: Herausgabe von Krankengeschichten – § 13 Absatz 3 der Reichs­ärzteordnung | Alt-Archiv der Kassen­ärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Berlin, 00106

Schweigepflicht unter Vorbehalt

Die großen ärztlichen Standes­organisationen strebten schon seit den 1880er-Jahren eine reichsweite standesrechtliche Ordnung an. Doch ließ sich das Vorhaben auch in der Weimarer Republik nicht in die Tat umsetzen. Die NS-Macht­übernahme und die „Gleichschaltung“ der Standesverbände schufen die Rahmenbedingungen für eine Neuordnung im Gesundheitssystem unter nationalsozialistischen Vorzeichen. Spätestens ab März 1933 begannen die Arbeiten an der rechtlichen Begründung für die Reichsärzteordnung (RÄO). Die Reichsregierung verkündete die endgültige Fassung vom 13. Dezember 1935 im Reichsgesetzblatt.

Die RÄO schuf mit der Reichsärztekammer eine Institution zur Regulierung und Disziplinierung der deutschen Ärzte im Sinne der nationalsozialistischen Machthaber. Dazu gehörten erhebliche Einschränkungen der ärztlichen Schweigepflicht. Von nun an durfte die Schweigepflicht gebrochen werden, wenn das „gesunde Volksempfinden“ dies nahelegte. Damit schuf die RÄO eine rechtliche Voraussetzung für zahlreiche
NS-Medizinverbrechen.