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Medizinische Versorgung in Konzentrations- und Vernichtungslagern

Häftlingsärztin in Auschwitz-Birkenau: Dr. Ella Lingens


Ella und Kurt Lingens mit ihrem Sohn Peter Michael, 1942. Fotograf: unbekannt | <span class=prov>Privatbesitz Peter Michael Lingens</span>
Ella und Kurt Lingens mit ihrem Sohn Peter Michael, 1942. Fotograf: unbekannt | Privatbesitz Peter Michael Lingens

Die promovierte Wiener Juristin Ella Reiner (1908–2002) hatte 1935 ein Medizinstudium aufgenommen, um später Psychoanalytikerin werden zu können. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Kurt Lingens verhalf sie jüdischen Mitstudierenden zur Emigration. Beide wurden am 13. Oktober 1942 verhaftet, nachdem sie von einem Gestapo-Spitzel verraten worden waren. Ella Lingens wurde nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie bis Dezember 1944 als Häftlingsärztin arbeitete. Am 29. April 1945 befreiten US-Soldaten sie aus dem KZ Dachau. Im März 1964 sagte sie als Zeugin der Anklage während des ersten Frankfurter Auschwitzprozesses aus. 1980 ehrte die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Ella Lingens-Reiner und Kurt Lingens für ihre Hilfeleistungen als „Gerechte unter den Völkern“.

Ärztin im KZ-Außenlagerkomplex Mühldorf: Dr. Erika Flocken


Erika Flocken hört im sogenannten Mühldorf-Prozess in Dachau das Urteil zum Tod durch den Strang, Mai 1947. Fotograf: unbekannt | <span class=prov>National Archives at College Park, College Park, MD, Records of the Office of the Judge Advocate General (Army), Record Group 153, File Unit 12-226-Bk 7</span>
Erika Flocken hört im sogenannten Mühldorf-Prozess in Dachau das Urteil zum Tod durch den Strang, Mai 1947. Fotograf: unbekannt | National Archives at College Park, College Park, MD, Records of the Office of the Judge Advocate General (Army), Record Group 153, File Unit 12-226-Bk 7

Erika Flocken, geb. Hosenberg (1912–1965), studierte Medizin in Königsberg, Köln und Marburg. Ab dem 20. Juni 1944 war sie leitende Ärztin der Organisation Todt im Krankenhaus Schwindegg. Die medizinische Versorgung der Häftlinge in den Außenlagern Mühldorf des KZ Dachau fiel in ihre Zuständigkeit.

1947 wurde Flocken als einzige Frau unter insgesamt 14 Personen im so­genannten Mühldorf-Prozess angeklagt. Das Gericht stellte fest, dass – neben extremer Überarbeitung – Prügelstrafen, unhygienische Lebensbedingungen sowie mangelhafte Ernährung und medizinische Versorgung zum Tod von mindestens 1800 Häftlingen geführt hatten. Flocken war nachweislich an Selektionen von Häftlingen zur späteren Ermordung in Auschwitz-Birkenau beteiligt. Am 13. Mai 1947 wurde sie zum Tode verurteilt, doch bereits im Juni 1948 wurde das Urteil nach Gnadengesuchen von ihr sowie von ihrem Vater in lebenslange Haft umgewandelt. 1958 erfolgte auf Intervention bundesdeutscher Regierungsstellen ihre Entlassung aus der Haft.

Über Leben und Tod entscheiden

In den Zwangslagern wurde das rassistische nationalsozialistische Menschenbild in extremster Form in die Praxis umgesetzt. So wurde den Häftlingen in den Kranken­revieren nur eine minimale medizinische Versorgung gewährt, um ihre Arbeitskraft für eine gewisse Zeit zu erhalten. Tatsächlich entschieden sich hier – wie etwa bei der Zuteilung zu schwerer oder weniger schwerer Zwangsarbeit – menschliche Schicksale zwischen Überlebenschancen und beinahe sicherem Tod. Während Häftlinge, die ärztliche Funktionen ausübten wie Ella Lingens im Vernichtungslager Auschwitz, sich in ihrem täglichen Handeln in moralischem Zwiespalt und Gewissensnot bewegten, zeugte die Tätigkeit der verantwortlichen KZ-Ärztinnen und -Ärzte überwiegend von Gewissenlosigkeit und Immoralität.