Eugenische „Auslese“ und Zwangssterilisation
1934 zwangssterilisiert, 1941 ermordet: Josef Fuhr

Der 1884 geborene Josef Fuhr aus Königswinter erlitt als Soldat im Ersten Weltkrieg einen Sturz aus drei Meter Höhe. Nachdem er angab, Stimmen zu hören, wurde er zunächst in der Nervenklinik Bonn behandelt. In der Nachkriegszeit beschäftigte der Möbelschreiner in seinem florierenden Betrieb zwei Angestellte. 1926 kam er in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn, ab Mai 1934 mit der Diagnose „paranoide Schizophrenie“ als dauerhafter Patient. Gegen seinen Willen wurde er nur fünf Monate später auf Antrag der Anstaltsleitung sterilisiert. Grundlage dafür war das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Im Sommer 1941 wurde der fünffache Familienvater über Andernach in die Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg verbracht, wo Josef Fuhr vermutlich am 25. Juli 1941 in der Gaskammer ermordet wurde.
Über die Schicksale vieler Menschen, die der nationalsozialistischen Politik der Vernichtung vermeintlich „unwerten“ Lebens zum Opfer fielen, wissen wir heute noch immer recht wenig. Lange trauten sich Familienangehörige nicht, die Geschichte von Zwangssterilisierten oder ermordeten Verwandten öffentlich zu machen. Wilbert Fuhr hingegen recherchierte in den 1990er-Jahren den Fall seines Großvaters und machte ihn so bekannt.

Die Tätigkeit der „ärztlichen Richter“
Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 war die Grundlage für die Sterilisation von Menschen mit Erkrankungen, die als genetisch bedingt angesehen wurden, sowie von sogenannten „Asozialen“ und „Minderwertigen“. Die Ärzte der staatlichen Gesundheitsämter erfassten in diesem Sinne „auffällige“ Personen und legten – unterstützt von zahlreichen Behördenmitarbeitern, Ärzten und Privatpersonen – entsprechende Fallakten an. Auf dieser Grundlage konnten sie allein bei Vermutung eines angeblich erblich bedingten Leidens einen „Antrag auf Unfruchtbarmachung“ bei den neu eingerichteten „Erbgesundheitsgerichten“ stellen. Für die amtsärztlichen Ermittlungen hob die zweite Ausführungsverordnung zum „Erbgesundheitsgesetz“ sogar die ärztliche Schweigepflicht auf. Ein „Erbgesundheitsgericht“ bestand aus einem Amtsrichter als Vorsitzendem sowie einem beamteten Arzt und einem weiteren approbierten Arzt, der mit der „Erbgesundheitslehre besonders vertraut“ zu sein hatte.
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden rund 300 000 Sterilisationen in Deutschland (in den Grenzen von 1937) durchgeführt. Dazu kamen knapp 60 000 in den folgenden fünfeinhalb Jahren und vermutlich 40 000 in den seit 1938 annektierten Gebieten.