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Der Mord an Patientinnen und Patienten

Als Künstler verunglimpft, als „lebensunwert“ ermordet: Paul Goesch


Paul Goesch, Wandgemälde (phantastisches Triumphtor), zwischen 1917 und 1919, 45,8 × 57,6 cm | <span class=prov>© Sammlung Prinzhorn des Universitätsklinikums Heidelberg, Inv.-Nr. 870</span>
Paul Goesch, Wandgemälde (phantastisches Triumphtor), zwischen 1917 und 1919, 45,8 × 57,6 cm | © Sammlung Prinzhorn des Universitätsklinikums Heidelberg, Inv.-Nr. 870

Paul Goesch (1885–1940) betätigte sich früh künstlerisch. Seine Ausgestaltung einer Turnhalle in Dresden-Laubegast um 1908/09 gilt als das erste frühexpressionistische Wand­gemälde in Deutschland. 1914 schloss er sein Architekturstudium ab. Von 1915 bis 1917 war er als Regierungsbaumeister in Kulm (Chełmno) tätig, wo er eine schwere psychische Krise durchmachte. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gehörte er expressionistischen Künstlerkreisen in Berlin an.

Bereits ab 1909 verbrachte Goesch wiederholt längere Zeit in Sanatorien und psychiatrischen Kliniken, führte aber auch immer wieder ein eigenständiges Leben. 1921 wurde er in die Heil- und Pflegeanstalt Göttingen eingewiesen, wo er seine künstlerische Arbeit fortsetzte. Die Nationalsozialisten verleumdeten seine Kunst als „entartet“. 1934 verlegten die Ärzte ihn in die Anstalt Teupitz bei Berlin. Im August 1940 wurde er in der Gaskammer der Krankenmordanstalt Brandenburg an der Havel als angeblich unheilbar Kranker ermordet. Paul Goeschs künstlerischer Nachlass umfasst über 1200 Skizzen, Zeichnungen und Aquarelle.

Paul Goesch, ohne Titel, zwischen 1917 und 1919, 16,6 × 20,6 cm | <span class=prov>© Sammlung Prinzhorn des Universitätsklinikums Heidelberg, Inv.-Nr. 893</span>
Paul Goesch, ohne Titel, zwischen 1917 und 1919, 16,6 × 20,6 cm | © Sammlung Prinzhorn des Universitätsklinikums Heidelberg, Inv.-Nr. 893

„Aktion T4“: Getarnter Massenmord

Im Oktober 1939 beauftragte Adolf Hitler seinen „Begleitarzt“ Dr. Karl Brandt und den Leiter der Kanzlei des Führers (KdF) Philipp Bouhler mit der Planung der ersten umfangreichen, systematischen Mordaktion des NS-Regimes. Sie sollten den Mord an Menschen mit Krankheit oder Behinderung organisieren. Hierzu richtete die KdF eine Tarn­organisation ein, die nach ihrem Sitz in der Berliner Tiergartenstraße 4 „T4“ genannt wurde. Diese verfügte über sechs Mordstätten mit Gaskammern: Brandenburg an der Havel, Grafeneck, Hartheim bei Linz, Bernburg, Sonnenstein bei Pirna und Hadamar bei Limburg. Die ersten Vergasungen psychiatrischer Patientinnen und Patienten hatten bereits am 15. Oktober 1939 im gerade erst von den Deutschen besetzten Posen (Poznań) stattgefunden.

Die von der „Aktion T4“ betroffenen, als „lebens­unwert“ erachteten Menschen waren vorwiegend Schwerbehinderte oder Schwerkranke mit erwarteter langer Anstaltsunterbringung. Sie wurden per Meldebogen erfasst, ärztliche „Gutachter“ und „Obergutachter“ entschieden dann über ihr Leben oder ihren Tod. Mehr als 40 Ärzte waren an den Gutachten beteiligt. Im August 1941 wurde die Aktion eingestellt, die Gesamtzahl der „T4“-Opfer wird auf mehr als 70 000 geschätzt.