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Der Deutsche Ärztegerichtshof in München

„Abtreibung – Unwürdig“: Ein Urteil des Juristen Dr. Ferdinand MöSSmer


Foto von Ferdinand Mößmer, abgedruckt in: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Berlin 1934, S. 315. Fotograf: unbekannt<span class=prov></span>
Foto von Ferdinand Mößmer, abgedruckt in: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Berlin 1934, S. 315. Fotograf: unbekannt

Der Rechtsanwalt Ferdinand Mößmer (1893–1946) gehörte seit 1930 der NSDAP sowie dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen an. Als Mitglied der Akademie für Deutsches Recht sprach er sich bereits 1934 in deren Zeitschrift für die Schaffung einer gesetzlichen Handhabe zur „Unterbindung weiterer Blutsvermischung des deutschen Volkes“ aus. 

1937 wurde Mößmer zum Vorsitzenden des Deutschen Ärztegerichtshofs ernannt. In dieser Funktion war er am Entzug der Approbation von Dr. M. B. beteiligt, dem vorgeworfen wurde, in mehreren Fällen Abtreibungen vorgenommen zu haben. Mößmers Urteil lautete: „Unwürdig“.

Abschrift des Urteils des Deutschen Ärztegerichtshofs vom 22. Januar 1943 gegen den Arzt Dr. M. B., dem als Berufsvergehen mehrfache Abtreibungen vorgeworfen wurden, Seite 4 | <span class=prov>Alt-Archiv der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Berlin, 00769</span>
Abschrift des Urteils des Deutschen Ärztegerichtshofs vom 22. Januar 1943 gegen den Arzt Dr. M. B., dem als Berufsvergehen mehrfache Abtreibungen vorgeworfen wurden, Seite 4 | Alt-Archiv der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Berlin, 00769

Schutz der Patienten oder Schutz des Berufsstands?

Zwischen 1865 und 1887 gründeten sich in den deutschen Ländern erste Ärztekammern. Eine ihrer Aufgaben war es, Mitglieder wegen beruflicher Verfehlungen zu disziplinieren. Durch die Reichs­ärzte­ordnung (RÄO) vom Dezember 1935 wurden die disziplinarrechtlichen Möglichkeiten auf alle Ärzte, die der Reichsärztekammer unterstanden, ausgeweitet. „Pflichtwidrig“ handelnde Ärzte konn­ten als „unwürdig“ zur weiteren Berufsausübung erklärt werden. 

Die mit der RÄO eingeführten ärztlichen Bezirks­gerichte bestanden jeweils aus einem Juristen und zwei Ärzten. Als Berufungsinstanz fungierte der Deutsche Ärztegerichtshof in München.Ein umfangreicher Bestand der dort gefällten Urteile ist im Alt-Archiv der Kassenärztlichen Bundesvereinigung überliefert. Häufig wurden Verstöße gegen die Paragrafen 175 (homosexuelle Handlungen unter Männern) und 218 (Abtreibung) StGB sowie Vergehen gegen das „Heimtücke-Gesetz“ als „unwürdiges Verhalten“ eingestuft. In solchen Fällen fielen die Urteile besonders hart aus. Zwar versuchte der Ärztegerichtshof – z. B. bei Verdacht auf „Kurpfuscherei“ oder auf sexuelle Übergriffe durch Ärzte – tatsächlich, Patientinnen und Patienten zu schützen, doch war den Richtern der Schutz der „Standesehre“ noch wichtiger und zudem häufig ideologisch motiviert.