Ärztliche Versorgung in der Trümmergesellschaft
Hausbesuche in Ruinen: Dr. Wolfgang Michels

Der in Köln geborene Wolfgang Michels (1877–1956) ließ sich nach dem Medizinstudium 1904 dort als praktischer Arzt nieder. Als er am 6. März 1945 begann, seine „Gedanken zur Zeit“, eine Art Tagebuch, per Schreibmaschine zu Papier zu bringen, war Michels bereits 68 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt rückten amerikanische Truppen auf die durch alliierte Bombardierung schwer zerstörte Kölner Innenstadt vor. Außer ihm gab es in der Kölner Südstadt nur einen weiteren niedergelassenen Arzt, um die hausärztliche Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten.
In diesen Tagen hoffte Michels auf Initiativen der Besatzungsmacht zur Neuorganisation der Kölner Ärzteschaft. Er sprach sich selbst und die überwiegende Mehrheit der Ärzte rückblickend von der eigenen politischen und moralischen Verantwortung in der NS-Zeit frei, indem er sie allein der NS-Führung zuschob. Am 13. März notierte er: „Es ist also zu hoffen, dass die noch in Köln praktizierenden Ärzte irgendwie erfasst werden und nach langen Jahren Gelegenheit erhalten, berufliche Angelegenheiten miteinander zu besprechen, was ja in den Jahren seit [19]33 nicht mehr erwünscht und möglich war.“

Von „Ausweichkrankenhäusern“ und ärztlicher Notversorgung
Die KVD hatte bereits im Sommer 1940 den Mangel an Kassenärzten in Teilen des Deutschen Reiches beklagt. Die Ausweitung des Krieges, die steigende Zahl von Verletzten und insbesondere die zunehmende Zerstörung von Arztpraxen und Krankenhäusern infolge der Bombardierung deutscher Städte führten bald zu einer weiteren Verschlechterung der medizinischen Versorgung an der „Heimatfront“.
Hitler betraute seinen „Begleitarzt“ Dr. Karl Brandt, den ranghöchsten unter den 1946 im Nürnberger Ärzteprozess angeklagten Medizinern, mit der Koordinierung von zivilem und militärischem Gesundheitswesen. 1942 ernannte er ihn zum Bevollmächtigten – ab 1943: Generalkommissar – für das Sanitäts- und Gesundheitswesen. Eine von Brandts zentralen Aufgaben war es, die Zahl der Betten in Ausweichkrankenhäusern und Lazaretten zu erhöhen. Um Platz zu schaffen, wurden in der später nach ihm benannten „Aktion Brandt“ auch Patienten von Heil- und Pflegeanstalten verlegt oder getötet. Eine der Ärztinnen, die 1944 – vor ihrem Einsatz in den Mühldorfer Außenlagern des KZ Dachau – für den Stab „Krankenhaus-Sonderanlagen“ von Brandt arbeitete, war Dr. Erika Flocken.